
Im Folgenden wird die Redaktion des Hessischen Chorspiegels, die das Interview führte mit Red. und Frau Petra Merkel mit PM abgekürzt.
Red.: Frau Merkel, schön, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen. Einige unserer Mitglieder durften Sie ja bei unserer letzten Mitgliederversammlung Ende Juni in Klein-Umstadt kennenlernen, als Ihnen vom Hessischen Sängerbund die Verdienstmedaille des HSB überreicht wurde. Trotzdem gibt es Viele, die zwar in Chören singen und damit Mitglied in einem der Landesverbände sind, aber wenig über Ihre Arbeit als Deutscher Chorverband wissen. Daher freuen wir uns, wenn Sie diese Menschen aufklären. Was ist der Deutsche Chorverband, und welche Rolle spielt er in der deutschen Musikszene?
PM: Vielen Dank – ich denke gerne an Sie alle zurück und an die Übergabe der Verdienstmedaille des Hessischen Sängerbundes, das war eine große Ehre für mich! Jetzt zur Frage: Der Deutsche Chorverband vertritt die Interessen der Amateurchöre und Chorsänger:innen in ganz Deutschland. Darum gehört es zu seinen erklärten Zielen, Ihnen allen und jedem unserer Chöre in Politik und Gesellschaft eine starke und hörbare Stimme zu geben.
Red.:  Können Sie einen kurzen Überblick geben: Wie viele Chöre und Mitglieder repräsentieren Sie aktuell, und wie ist der Verband organisiert?
Können Sie einen kurzen Überblick geben: Wie viele Chöre und Mitglieder repräsentieren Sie aktuell, und wie ist der Verband organisiert?
PM: Unter dem Dach des DCV sind 21 Mitgliedsverbände sowie die Deutsche Chorjugend organisiert, die zusammen aktuell rund 13.000 Chöre mit 700.000 Mitgliedern repräsentieren.
Red.: Welche konkreten Angebote und Dienstleistungen bietet der Deutsche Chorverband seinen Mitgliedern?
PM: Zu den wichtigsten Projekten und Programmen zählen das Deutsche Chorfest, die chor.com, die Carusos-Initiative und jüngst auch die „Woche der offenen Chöre“. Hinzu kommen Beratungs- und Serviceleistungen für die ehren- und hauptamtlich Engagierten im Chorbereich. Aber auch der Versicherungsschutz für alle Chöre und Vereine, der Gesamtvertrag mit der GEMA (der vom Deutschen Chorverband für alle Chöre verhandelt wird), die Bereitstellung der OVERSO als kostenfreies Programm zur digitalen Vereinsorganisation sowie die Herausgabe der bundesweiten Mitglieder- und Fachzeitschrift „Chorzeit – das Vokalmagazin“ gehören zu seinen zentralen Aufgaben.
Red.: Welche Bedeutung hat Fort- und Weiterbildung für die Arbeit des Verbands, insbesondere im Hinblick auf Chorleiterinnen und Chorleiter?
PM: Fort- und Weiterbildung sind unheimlich wichtig und zentral! Vor allem die chor.com ist alle zwei Jahre das bundesweite Ereignis, mit dem der Verband neue Impulse dazu geben möchte. Die chor.com bringt alle zusammen – von Chorleiter:innen und Komponist:innen über Chororganisator:innen und Musikpädagog:innen bis hin zur Chorverlagsszene. Angeboten wird ein riesiges und vielfältiges Workshopprogramm, dazu passende Konzerte und Gesprächsrunden. Im Jahr 2026 sind wir vom 1. bis 4. Oktober übrigens das erste Mal in Leipzig zu Gast.
Red.: Gibt es besondere Projekte oder Förderprogramme, die der Verband initiiert hat, um Chöre nachhaltig zu unterstützen?
PM: Neben Fach- und Fortbildungsangeboten wie der chor.com hat sich beispielsweise die „Woche der offenen Chöre“, die es im Sächsischen Chorverband schon länger als Vorzeigeprojekt gibt, zu einer wirklich wichtigen Aktion entwickelt. Die Chöre nutzen das Angebot intensiv zur Mitgliederwerbung und werden so motiviert, dieses Thema selbst aktiv anzugehen. Und natürlich beginnt „nachhaltige“ Förderung schon beim Singen mit Kindern und Jugendlichen. Neben den vielen tollen Angeboten der Deutschen Chorjugend setzt hier auch die Carusos-Initiative des DCV an. Sie dient dazu, dass Kinder bereits in Kita und Kindergarten ganz selbstverständlich und mit Freude an das tägliche Singen herangeführt werden.
Ganz wichtig ist aber auch unser Engagement für den Amateurmusikfonds gewesen, der nun tatsächlich fester Bestandteil der Bundeskulturförderung und im Bundeshaushalt fest verankert ist. Hierüber werden zahlreiche Chöre, aber auch alle anderen Musikvereine ganz individuell in ihrer Projektarbeit unterstützt. Daran hat der Deutsche Chorverband mit Christian Wulff als Präsident entscheidenden Anteil.
Perspektiven und Herausforderungen
Red.: Wie schätzen Sie die derzeitige Lage der Chorszene in Deutschland ein: Gibt es eher positive Trends oder überwiegen die Herausforderungen, etwa bei der Nachwuchsgewinnung?
PM: Gemeinsames Singen ist in der breiten Öffentlichkeit nach der Corona-Zeit längst wieder positiv besetzt. Sehr viele Menschen haben Lust, sich gesanglich auszuprobieren, mitzumachen und in der Gemeinschaft Anschluss zu finden. Die geschieht häufig allerdings auch außerhalb von Vereins- oder Verbandsstrukturen. Insofern bleibt es eine Herausforderung, auch dafür wieder Nachwuchs zu gewinnen – gerade in einer Zeit, in der Verbindlichkeit und Bindungswünsche allgemein schwinden. Da kommt es stark auf die passenden Angebote und Anreize an, um sich in Vereinsstrukturen zu organisieren beziehungsweise zu engagieren. Richtig ist, auch bei Vereinen muss Bürokratie abgebaut werden, dafür setzt sich der DCV ein – aber ich finde es generell großartig, dass es gemeinnützige Vereine gibt, die dem Gemeinwohl dienen und nicht primär auf Gewinn ausgerichtet sind.
Red.: Welche mittel- und langfristigen Perspektiven sehen Sie für den Chorgesang? Welche Chancen, aber auch Risiken gibt es für das gemeinschaftliche Singen in der Zukunft?
PM: Ich bin sicher, es wird immer gesungen werden! Wie schon erwähnt, ist ein wesentlicher Schlüssel, dass schon das gemeinsame Singen von Klein auf in der Kita und der Schule ganz selbstverständlich ist. Wenn die Freude einmal geweckt und gefördert wurde, ist es einfach, Menschen auch später für das Singen im Chor zu motivieren. Entscheidend wird sein, dass auch die Chorgemeinschaften weiterhin mit der Zeit gehen, sowohl vom Repertoire als auch in der Anerkennung der Vereinsarbeit. Zugleich müssen aber kulturpolitisch die Grundlagen stimmen, damit die breite Basis gefördert und erhalten bleibt. Dafür benötigt es die Lobbyarbeit der Verbände und eine Solidargemeinschaft wie den Deutschen Chorverband. Ich vergleiche uns immer mit dem Sport – und wünsche mir dieselbe politische Unterstützung.
Red.: Inwiefern kann Chorgesang zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beitragen – insbesondere im Hinblick auf Integration und kulturelle Bildung?
PM: In Chören kommen Menschen unterschiedlichster sozialer und kultureller Hintergründe und Prägungen zusammen. Die Erfahrung, gemeinsam zu singen und zusammen etwas auf die Beine zu stellen, verbindet und lässt tragfähige Gemeinschaften über alle Grenzen und Unterschiede hinaus entstehen. Dafür müssen wir aber auch in den Chören werben und uns sowohl für die verschiedenen Generationen als auch für Menschen unterschiedlicher Kulturen öffnen.
Persönliche Haltung
Red.: Was treibt Sie persönlich an, sich für den Deutschen Chorverband zu engagieren – und welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Chorgesang?
PM: Ich habe immer gerne gesungen, klar, früher im Schulchor – und später habe ich für besondere Anlässe wie beispielsweise runde Geburtstage, Verabschiedungen oder Hochzeiten selbst Menschen zusammengeführt zum gemeinsamen Singen. Bei der Anfrage, ob ich als Präsidentin des Chorverbands Berlin kandidieren würde, habe ich nicht lange überlegt und finde das ein sehr bereicherndes Ehrenamt. Und dann kamen 2015 die Menschen aus vielen Kulturen in unser Land – und wir in Berlin haben den Begegnungschor gegründet. Seitdem singe ich dort mit – und bin die Kassenwartin!
Red.: Abschließende Frage: Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Chorsingens in Deutschland?
PM: An jeder Schule einen Schulchor, kostenlose Probenräume in kommunalen Einrichtungen, finanzielle Unterstützung der Chorverbände in den Bundesländern –
und den Zusammenschluss aller Chorverbände im Deutschen Chorverband! Gemeinsam sind wir stärker!
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und Ihre Zeit.
Das Interview führte die Redaktion des Hessischen Chorspiegels am 22.10.2025.
Fotos: Petra Merkel und Rüdiger Schestag